Sollten wir alle Fair-Trade-Produkte kaufen?

Beruhigen wir mit Fair-Trade-Siegeln nur unser Gewissen? In Nicaragua und Äthiopien zumindest haben sie das Einkommen vieler Kaffeebauern nicht erhöht. Sollte man die zertifizierten Produkte also überhaupt kaufen? Unsere Blogger sind sich uneinig.

Lara Gohr sagt: Nein, der Fehler liegt im System.

Seht ihr die glückliche Bauernfamilie auf ihrer Kaffeeplantage vor eurem inneren Auge, wenn der fair gehandelte Kaffee über die Ladentheke geht? Leider sieht die Realität oft anders aus. Kleinbauern profitieren nicht wirklich von Fair-Trade. Das sagen zum Beispiel Forscher der Universitäten Berkeley und San Diego. Auch Ulrike Grote stellte in der Ringvorlesung Forschungsergebnisse vor, die diese These stützen: Sie untersuchte die Lage von Bauern mit sehr kleiner Ackerfläche in Indien, Äthiopien und Nicaragua. Ergebnis: Nur die indischen Bauern mit Fairtrade-Zertifikat waren reicher als ihre Kollegen, die ihre Bohnen ohne Siegel verkaufen – und das auch nur ein wenig.

Wie kann das sein? Der Fehler liegt im System, sagen Wirtschaftsexperten wie zum Beispiel Ndongo Syllas aus dem Senegal im Interview mit dem Magazin „Weltsichten“. Garantierte Mindestpreise für Kaffee seien für die Bauern durch hohe Kosten für die Zertifizierung nutzlos. Denn das Ausfüllen der nötigen Papiere macht Arbeit, außerdem fallen Gebühren an. Zusätzliche Standards beim Anbau der Bohnen würden ebenfalls kosten. Und: “Wenn sie zertifiziert sind, heißt das noch lange nicht, dass sie große Teile ihrer Ernte nach den Konditionen des fairen Handels verkaufen können”, sagt Syllas.

Grote berichtete sogar von Bauern, die nicht einmal von ihrer Zertifizierung wussten die Kooperative, mit deren Hilfe sie ihren Kaffee verkauften, war schlichtweg zu schlecht organisiert. Unwissend konnten sie Vorteile wie Beratung, Schulungen oder Mikro-Kredite nicht nutzen.

Zwar gibt es auch Studien, die eine bessere Lage zeichnen. Auch Transfair, der Verein hinter einem in Deutschland weit verbreiteten Siegel, sagt, dass Bauern, die unter dem Siegel arbeiten, leicht höhere und stabilere Einkommen hätten. Das Problem: Wer ein Produkt mit dem grün-blauen Punkt kauft, geht davon aus, wirklich einen Unterschied zu bewirken. Wenn zur Debatte steht, ob es den Bauern finanziell überhaupt besser geht und der Unterschied nur schwer messbar ist, dann hat das Siegel seinen Sinn verfehlt und das System sollte umgestellt werden.

Das eigentliche Problem für die Bauernfamilie aus Äthiopien bleibt: Sie steht am Anfang der Wertschöpfungskette und produziert lediglich den Rohstoff für das nach Koffein lechzende Europa und Nordamerika. Solange der Kaffee bei uns geröstet und veredelt wird und sich in den Entwicklungsländern keine eigenen Industrien bilden, wird sich die Lage in Zukunft nicht bessern.

Zu einer Besserung der Arbeitsbedingungen im globalen Süden könnten die Bürger Europas beitragen, indem sie sich gegen unfaire Handelsabkommen und die massiven Subventionen unseres eigenen Agrarsektors einsetzen. Dazu braucht es kein Siegel.

Julian Rodemann meint: Ja! Fair-Trade-Siegel können die Welt langfristig gerechter machen.

Leider offenbart Laras Position eine verkürzte Sicht. Dass fairer Handel nicht mehr als eine Beruhigungspille für unser schlechtes Gewissen ist, hört man immer öfter. Stimmt aber nicht. Denn die Fair-Trade-Bewegung bringt sehr wohl etwas.

Die Forschung von Ulrike Grote zeigt zwar, dass Fair-Trade-Siegel in zwei der drei untersuchten Länder die Einkommen von Kaffeebauern nicht erhöht haben. Die Professorin aus Hannover sprach aber auch an, dass es bei Fair Trade nicht nur um das Einkommen der einzelnen Bauern geht: Die Organisationen hinter den Labels zahlen sogenannte „Social Premiums“, mit denen die Gemeinden vor Ort zum Beispiel Straßen bauen können. Davon profitieren ganze Dörfer – und damit auch der einzelne Bauer und seine Familie.

Außerdem gibt es Studien mit anderen Ergebnissen:  Forscher des Centrums für Evaluation in Saarbrücken zeigten, dass Fair Trade positive Effekte auf die ländliche Entwicklung hat. Wer auf das Gesamtbild der Studienergebnisse blickt, stellt fest: Ob Fair Trade etwas bringt oder nicht, hängt von den lokalen Gegebenheiten ab. Mal nutzen die Siegel den Bauern, mal nicht. Mag sein, dass fairer Handel in einigen Ländern bisher wenig bis gar nichts bewirkt hat.

Aber das ist gar nicht der springende Punkt. Denn die bunten Zertifikate können etwas bewirken, das langfristig viel wichtiger ist: Sie verändern unser Konsumverhalten und beeinflussen damit, was Unternehmen verkaufen. Das zeigt die Nachfrage nach fairem Kaffee, die sich in den vergangenen Jahren vervielfacht hat. Und wer ein fair gehandeltes T-Shirt kauft und dafür 40 Euro ausgibt, zeigt Textilkonzernen wie Zara oder H&M: Schaut her, so viel sind mir meine Klamotten wert, wenn sie unter gerechten Bedingungen zusammengenäht werden. Klar, ein Fair-Trade-Siegel befreit nicht von heute auf morgen alle Kinder aus den Textilfabriken. Aber es hilft dabei, den Markt für T-Shirts insgesamt zu verändern. Der Wert dieser Produkte steigt, weil Manager*innen merken: Die Leute sind bereit, für ein Shirt tiefer in die Tasche zu greifen.

‚Fairtrade‘ oder ‚Fair Trade‘? Redakteure von Utopia haben aufgeschrieben, welche Kriterien das in Deutschland weit verbreitete Fairtrade-Siegel erfüllen muss. Sie stellen klar: “Fairtrade‘ ist ein eingetragener Markenname, “Fair Trade‘ steht allgemein für fairen Handel und umfasst auch andere Siegel.